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Chronik des Sportgeländes am Zeesener See
Am 4.7.1998, anläßlich des 70-jährigen Bestehens des Vereins, herausgegeben.
Für diese Seite wurden nicht alle Bilder der Orginalausgabe verwendet.



Die Jahre 1934 - 1938
Im Januar 1934 trafen sich im Weißen Saal der Germania-Festsäle Berlin, Chausseestraße, die Mitglieder zu einer Generalversammlung, auf der eine Satzungsänderung beschlossen wurde. Wichtigster Punkt war die Namensänderung des Vereins. Aus der „Deutschen Luftbadgesellschaft e.V.“ wurde die „Sportliche Vereinigung 1906 e.V. Berlin“. Warum diene Änderung? Der Nationalsozialistische Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) hatte von der Existenz der Luftbadgesellschaft, in der vor allem FKK und wenig Sport betrieben wurde, Wind bekommen. Und da das Nacktbadeverbot bereits bestand (aber bis auf die Jahre 1936 und 1937 nicht eingehalten wurde), mußten die Mitglieder - sollte der Verein nicht aufgelöst werden - sich mehr dem Sport verschreiben und deshalb auch der sportlich klingendere Name. Allerdings setzte diese grundsätzliche Änderung des Charakters auch voraus, daß in kurzer Frist Sportanlagen entstehen mußten. Zunächst wurde mit dem Grundstücksbesitzer, Bauer Drebelhof, verhandelt, um die Zustimmung zum Fällen alter Bäume zu erreichen, die auf dem heute freien Platz standen. Da der Bauer das Holz brauchte, und die Vereinsmitglieder ihm die Arbeit abnahmen, bedurfte es keiner langen Gespräche. Jeden Sonntag wurde „Arbeitsdienst“ angesetzt, aber nur 20 Männer kamen in der Regel zusammen. Dennoch entstanden nach und nach eine 100-m-Aschenbahn (die Schlacke lieferte die Reichsbahn), eine Speerwurf-, eine Kugelstoß-, eine Diskuswurf- und eine Weit- und Hochsprunganlage.

In den im Juli 1934 zum ersten Mal erschienenen Mitteilungen hatte die Vereinsführung noch die Illusion, daß man durch gute Leistungen die „Freigabe der Bewegung“ erreichen könne. Man appellierte an alle, die Auf- und Ausbauarbeiten finanziell zu unterstützen. So sollte der Platz mit Rasen versehen werden, um die Staubbildung zu verhindern und um ein schönes Bild zu bieten, und Turngeräte mußten gekauft werden. Bis zum Frühjahr 1935 war beabsichtigt, im See eine Schwimmanlage fertigzustellen, die einen 33 Meter langen Schwimmsteg für Trainingszwecke und eine Sprunganlage haben sollte.

Schon im August 1934 fand am Zeesener See im Auftrag des Deutschen Bundes für Freikörperkultur ein Sportfest statt. Männer und Frauen starteten in den Disziplinen 100-m-Lauf, Stafette, Hochsprung, Weitsprung, Kugelstoßen, Diskuswerfen, Speerwerfen, Schwimmen sowie Faustball.

Interessant ist auch, daß das Gelände täglich von morgens bis abends geöffnet war, dass sonntags Gymnastik, Spiele und fast sämtliche leichtathletische Sportarten ausgeführt werden konnten, außerdem Schwimmen und Ergänzungssport, je nach Jahreszeit im Freien oder in Hallen, ferner Wanderungen und Vorträge.

In den Mitteilungen Nr. 2 schrieb der stellvertretende Vorsitzende Walter Weigt, daß „alIe enttäuscht sind, daß die Freigabe der FKK in Preußen auch in diesem Sommer nicht erfolgt ist.“ Er sah den Grund darin, „daß die FKK vor der Öffentlichkeit viel zu wenige

Leistungen vollführt hat. Immer wieder müssen wir bei Verhandlungen feststellen, daß die Außenstehenden nur die so „unmoralische“ Nacktheit an unserer Bewegung kennen, während ihnen von einer körperlichen Ertüchtigung oder einer sonstigen Arbeit meistens nichts bekannt ist. Auf keinen Fall können wir unser Ziel nur durch Verhandlungen einzelner Bundesführer erreichen. Wir haben uns deshalb entschlossen, dem Deutschen Leichtathletikverband beizutreten und werden In Zukunft durch Beteiligung an Sportveranstaltungen usw. dafür sorgen, daß wir bekannt werden und daß man unsere Tätigkeit anerkennt.“
(Satz weggelassen, da Inhalt unklar, offensichtlich ein Druckfehler)

Am Ende des Jahres 1934 hatte die Sportliche Vereinigung ihren ersten Rechtsstreit auszutragen. Die Leitung hatte beantragt, dem Fischereipächter Riemer für die benutzte Wiese keinerlei Zahlungen leisten zu müssen und die Pfähle im See - Wendepunkte der Schwimmer - sollten stehen bleiben. Das Regierungsforstamt entschied, die Pacht ist zu zahlen, und da im Vertrag, der die Anlage eines Bootssteges und eines Trainingsteges vorsah, von Pfählen keine Rede war, seien diese unzulässig. In der Begründung der Ablehnung heißt es: „Da der Zeesener See wegen der Bodenausformung des Uferstreifens im ganzen nur sechs Auszüge für die Netzflscherei ermöglicht und die Badestelle der Sportlichen Vereinigung eine dieser Auszugsstellen darstellt, so bedeuten diese Pfähle für die Netze eine große Gefahr und eine emstliche Behinderung für die Fischerei.“ Drei Pfähle mußten sofort entfernt bzw. durften nur von April bis September eingesetzt werden.

Mit der Außerordentlichen Generalversammlung im “Gerichtsstübl des Prälaten Berlin, Alexanderplatz, im April 1935 begann ein kurzzeitiges Hin und Her, was die Satzungen und die Unterordnung unter einen Dachverein betrifft. Eine Einheitssatzung des Reichssportführers für alle Verbände wurde begründet und von 214 Mitgliedern angenommen. Das bedeutete, daß nur unbescholtene Angehörige der ‚deutschen Volksgemeinschaft, welche arischer Abstammung“ sind, aufgenommen werden durften. Noch einmal versuchte der damalige Vorsitzende Raupach aus Gründen, die sich aus den vorhandenen Dokumenten nicht alle eindeutig ablesen lassen, der Oberherrschaft des NSRL zu entkommen. Er meldete im Dezember 1936 den Austritt der Sportlichen Vereinigung aus dem Deutschen Reichsbund für Leibesübungen und schrieb: „Wir sind seit dem 3. August 1936 der dem Reichsärzteführer unterstellten Deutschen Gemeinschaft für Lebensreform als Mitglied beigetreten, die die Vertretung unserer Interessen übernommen hat.“ Gustav Sprenger, der Stellvertreter und spätere Nachfolger von Raupach, sagte uns, daß Raupach diesen Schritt ohne sein Wissen ausführte und als Begründung angab, der Wrein könne den Zuschlag für den NSRL nicht aufbringen.

Als Gustav Sprenger die Änderung in das Vereinsregister eintragen lassen wollte, wurde dies abgelehnt. "lch wurde wegen der Gründe an die Polizei in der Magazinstraße verwiesen“, schrieb er in seinen Erinnerungen. „Bei meiner Vorsprache dort wurde mir eröffnet, daß ein Verein aus so nichtigen Gründen niemals aus dem NSRL ausscheiden würde. Es lägen bestimmt andere Gründe vor, und jedes einzelne Mitglied würde überprüft werden. Da ich viele Mitglieder auch von der politischen Seite aus kannte, mußte diese Überprüfung verhindert werden.“

Und so geschah es auch. Zwei Monate nach Raupachs Schritt nahm Sprenger die Austrittserklärung zurück. Wie aus einem Brief vom 20. April 1937 hervorgeht, war das sozusagen der letzte Rettungsanker, denn auf Grund des Raupach‘schen Vorgehens hatte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) bereits die Anweisung erhalten, den Sportverein aufzulösen.

1937 - im Februar - begann ein neuer, schwieriger Abschnitt in der Geschichte des Vereins. Gustav Sprenger übernahm die problematische Funktion des Vorsitzenden. Er, schon bedingt durch seinen Beruf als Buchhalter, war ein redlicher Mann, der in der Folgezeit gezwungen war, seine wahren politischen Überzeugungen - als Sozialdemokrat - zu unterdrücken, mit den faschistischen Machtorganen zu verhandeln und den Verein sowie das Gelände so unauffällig wie möglich zu leiten. Alle offiziellen Dokumente, vor allem die uns von seiner Tochter Inge Gliesche übergebenen Mitteilungen, sind im damaligen Behördendeutsch abgefaßt. Doch gibt es mehrere Beweise, daß vieles auch aus Tarnungsgründen geschah. (Wir kommen darauf noch zurück. DA)

Jürgen Freytag und Gerda Jelenski hatten das große Glück, auf Grund eines Hinweises von Hella Kinne den 82 jähngen Gustav Sprenger wenige Monate vor seinem Tod kennenzulernen. (Seine Tochter Inge Gliesche war zu diesem Zeitpunkt noch nicht wieder Mitglied des Vereins. D.A.) Es war insofern ein Glück für diese Chronik, daß der ehemalige Vorsitzende uns nicht nur einen Ordner mit wesentlichen Dokumenten übergab, sondern sich selbst noch einmal hinsetzte und einen sieben Seiten umfassenden Überblick eigenhändig in die Maschine tippte.

Im Winter 1937 gab es zahlreiche Versuche, den Sportverein stärker an die übergeordneten Leitungen von Hitlerjugend (HJ) und NSRL sowie die staatlichen Stellen anzuschließen. Wie aus den Briefwechseln ersichtlich ist, hat es Gustav Sprenger verstanden, Aufforderungen zu umgehen, zu übersehen oder durch Gegenfragen und Argumente hinauszuschieben. So existiert vom 5. November 1937 eine Aufforderung, daß der Verein Übungsleiter für die Führung von HJ-Sportdienstgruppen zur Verfügung stellen solle. Am 19. November mahnte die HJ einen Fragebogen an, der den Einsatz eines Vereinsjugendwartes bestätigen sollte . Sprenger antwortete, daß ihm ein solcher Fragebogen nicht zugegangen sei (was durchaus möglich sein kann. DA.), aber gleichzeitig schrieb er auch, dass im Verein keine Jugendabteilung existiere, also auch kein Jugendwart eingesetzt werden muß. (Aus Protokollen aber ist bekannt, daß es eine größere Anzahl von Jugendlichen auf dem Gelände gab). Ähnlich abschlägig verhielt er sich zum Thema Übungsleiter. Er habe kein Rundschreiben bekommen und möchte nun wissen, welche Anforderungen an einen Übungsleiter gestellt werden.

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